Egal ob in der Politik, Wirtschaft oder im Bankenwesen – immer mehr Institutionen kommen auf den Prüfstand. Das Hohle und Leere wird entlarvt und fällt in sich zusammen. Seit Jahren wird auch über die Zukunft der Mode–Industrie diskutiert. Längst zum reinen Konstrukt verkommen, wird nach Identität gesucht, nach Sinn und Berechtigung in einer Welt, in der es nur um den schönen Schein geht. Der Designer Demna Gvasalia aus Georgien mit deutschem Pass hat in Paris ein Label gegründet, dass einen Weg aus diesem Paradox zu zeigen scheint.
Das Betrachten seiner aktuellen Vetements Kollektion befremdet. Die Begleitmusik erinnert an nervendes Kindergeschrei. Man muss sich zwingen, dabei zu bleiben, und das, was man sieht, lässt sich nicht wirklich genießen: Anzüge, die nicht sitzen, zu groß, zu klein, Krawatten, die hinten heraushängen, ballüsige Mäntel um den Bauch geschlungen. Was soll man damit anfangen, Wer will das anziehen? Und doch bin ich fasziniert, wie offenbar sehr viele andere. Man könnte auch sagen, dem Label wird die Bude eingerannt. Vielleicht macht aber auch gerade dieses Befremden den Hype aus: Vetements ist frei, hochgradig individuell und scheint nicht einmal zu bemerken, wie unattraktiv es ist.
Es kommt aus dem Bauch.
Und ist damit eine wahre Revolution für das Business. Eine, die lange erwartet wurde und überfällig war. Nun ist sie also da. So sieht sie aus. Enttäuscht?
Denn was will uns Designer Demna Gvasalia sagen, der ein T-Shirt mit DHL Logo fast eins zu eins auf den Laufsteg bringt. Provokation? Nein. Zu langweilig.
Das Label will nicht schockieren, aber eben auch nicht gefallen und das muss es auch nicht. Im Gegenteil – alles sieht aus wie second hand, ist unproportioniert geschnitten und wirkt dadurch hässlich, fast absurd. Und das DHL Shirt ? Gvasalia war so genervt davon, dass die DHL mit den Lieferungen immer zu spät kam, jeden Tag. Also beschloss er, ein so bestimmender Teil meines Lebens, das muss mit auf den Laufsteg.
Und was für eine Botschaft soll das nun haben?
Mir sagt es: mach, was Du willst. Zieh an, was Du willst, völlig egal, solange es Dir Spaß macht. Wenn es halt sein soll, dann auch das DHL Shirt. Oder das von der Security, vom Wachmann nebenan. Es geht um die Befreiung von Regeln und vor allem von Erwartungen. Es geht darum, einfach zu sein! Die Frage, die sich dahinter auftut, muss jeder für sich selbst beantworten. Sie heißt: Wer bist Du? Wer willst Du sein? Worauf hast Du Lust?
Anders als die meisten Labels, die einem gleich eine Identität mit dem Kleidungsstück verkaufen, will Vetements darauf keine Antworten geben. Denn hier geht es, wie der Name des Labels schon sagt, einfach nur um Kleidung. Und nichts weiter. Dahinter steht keine Geschichte. Die musst Du schon selbst mitbringen.
Demna Gvasalia sagt: Wir bieten nur das Produkt an. Wir sehen den Kunden selbst als „Fashion“ Designer – im besten Sinne des Wortes: als Designer seines eigenen Stils. Und der kann nur persönlich sein. Damit schickt er uns in die Verantwortung und gibt uns als Käufern die Macht zurück, selbst über unser Äußeres zu entscheiden. Individualität. Das ist es, wozu Vetements auffordert.
Mode als das zu begreifen und nutzen, was sie letztendlich ist: Der äußere Ausdruck unserer Selbst.
G.B. Becker 4. Juli 2016